In der sechsten Klasse lernte ich noch schlechter als sonst. Jeden Morgen wurde streng kontrolliert, ob Ohren, Fingernдgel und Kragen sauber waren, wir Hausschuhe und rotes Halstuch dabei hatten und unsere Eltern das Schulbuch auch ordnungsgemдЯ unterschrieben. Eine Art Gefдngnis mit Ьbernachtung zu Hause.
Bevor ich morgens das Haus verlieЯ, griff ich rasch in meines Vaters Manteltasche und expropriierte, je nachdem wieviel ich fand, einen Teil seines Kleingelds. Dann schaute ich kurz im Keller des gegenьberliegenden Hauses vorbei, wo in einem Holzverschlag aus ungehobelten Brettern mein Freund lebte, Vollwaise und StraЯenkind, gab ihm das Kleingeld fьrs Essen, beneidete ihn ob seiner Freiheit und machte mich auf in die Schule.
Einmal aber war in der Tasche kein Kleingeld und einen ganzen Rubel zu nehmen hatte ich Angst. Als ich ohne eine Kopeke und zu Tode betrьbt zu meinem Freund, dem StraЯenkind, kam, wuЯte ich nicht, was ich sagen sollte. Er aber nahm es mir kein biЯchen krumm und schlug vor, zusammen auf Jagd zu gehen. Also gingen wir durch einen kleinen Birkenhain zum besten und schцnsten der “Konstruktivisten”-Hдuser, von denen es bei uns in der Nachbarschaft einige gab, und brachen dort in die Keller ein. Mein Freund wдhlte schnell einen der Keller aus und цffnete ihn geschickt mit einem Federmesser. Im Licht eines brennenden Streichholzes sah ich unzдhlig viele Konserven jeglicher Art auf Regalen herumstehen. Wдhrend mein Freund schon begann, sich die Konserven unter das Hemd zu stopfen, nahm ich mir auf Verdacht eine Konserven und fragte, was das denn sei. “Ananas”, antwortete er.
Richtige Ananas hatte ich bis dahin nur ein einziges Mal zu essen bekommen. Meine Vater hatte sie mitgebracht, als er nach einem KьnstlerkongreЯ im Kreml aus Moskau zurьckgekehrt war. Ich konnte mein Glьck gar nicht fassen.
“Was denkst du”, fragte ich, “wessen Keller wir leergerдumt haben?” “In dem Haus wohnt ein General und wenn man bedenkt, das es Ananas nirgends zu kaufen gibt, ist die Sache wohl klar”, bekam ich zur Antwort.
Wir vergruben die Konserven auf einer Anhцhe unweit unserer Hдuser und ich konnte es gar nicht erwarten, bis endlich mein treuer Freund Krasnogolow aus der Schule zurьckkam und ich ihm alles erzдhlen konnte. Dieser war Musterschьler und schlau wie ein Fuchs. Mehr als einmal hat er mich ordentlich reingelegt. Ohne lange ьberlegen zu mьssen, unterbreitete er mir seinen Plan:
Zuerst versteckten wir unsere Ananaskonserven an einem anderem Ort. Dann dachte er sich eine Geschichte aus, mit der sich die Ware legalisieren lieЯ: Die Mutter eines gewissen Kolja sollte in eine andere Stadt umziehen, weswegen sie fast alles verkaufte, darunter auch die Ananasbьchsen fьr 50 Kopeken das Stьck. Unsere Eltern kauften uns die Geschichte anstandslos ab und gaben uns Geld fьr Koljas Mutter. So konnten wir zu Hause vцllig legal Ananas essen, ohne dabei zu vergessen, unseren Verwandten auch ein Stьckchen zum Probieren zu geben.
Das zweite und letzte Mal, daЯ in der Tasche meines Vaters kein Kleingeld war, ging ich mit meinem Freund in den Stryskij-Park.
Dieser war 1879 von dem berьhmten Gartenarchitekten Arnold Rering geplant worden und einen besseren Ort fьr die Erholung konnte man sich in Lwow gar nicht vorstellen.
Auf dem Bild meines Vaters ist genau jener Ort dargestellt, zu dem wir jetzt gingen. Nur meinen Kinderwagen, meine inzwischen verstorbene GroЯmutter und meine Mutter muЯ man sich natьrlich wegdenken.
Ьberhaupt war auЯer uns zu jenem Zeitpunkt niemand im Park.
Ich muЯte mich hinter den Strдuchern verstecken und Wache halten, wдhrend mein Freund flink in einem riesigen Blumenbeet verschwand.
Nach einiger Zeit tauchte er, einen riesigen StrauЯ Iris in Hдnden, wieder auf, verschwand erneut, holte noch einen StrauЯ, und das mehrere Male. Dann verlieЯen wir vorsichtig den Park und gingen zum nahegelegenen Stryskij-Markt, um unsere Beute dort zu verkaufen. Mir rutschte bei dem Gedanken, daЯ mich irgendwelche Bekannte meiner Eltern auf dem Basar sehen kцnnten, das Herz in die Hose. Ьberhaupt war mir die ganze Aktion ьberaus peinlich. Zum Glьck kauften die Leute, als sie sahen, daЯ wir zwei offensichtlich das erste Mal auf dem Markt waren – aus Not –all unsere Blumen innerhalb von nur 20 Minuten.
Seit dieser Zeit hasse ich Iris.
Wenn ich mich spдter in jedem Spдtherbst wieder aufs Neue bis ьber beide Ohren verliebte – im Herbst sind die Frauen bekanntlich besonders schцn – habe ich ihnen immer nur Chrysanthemen geschenkt, deren Duft ich bis heute mit unendlicher Liebe und Tod assoziiere.
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