Ich habe nie Domino gespielt, außer vielleicht hin und wieder aus Langeweile, aber das zählt nicht. Einmal allerdings, als ich als Kind mit Mumps oder Angina zu Hause sitzen mußte und das Fieber meine kindliche Phantasie besonders weit forttrug, fiel mir eine Schachtel Dominosteine in die Hände.
Und so spielte ich auf unserem riesigen Klappsofa, dessen Mittelritze zwei Hälften wie eine natürliche Grenze in zwei fast gleich große Staaten unterteilte, wie auf einem Schlachtfeld meine erste Partie Domino, so wie ich mir selbst dieses Spiel damals vorstellte. Gemeinhin halten die Leute Domino für ein Tischspiel, was mir mit zunehmendem Alter einfach nur lächerlich scheint. Denn was für ein Tisch kann den Anfang der Welt auf sich tragen, mit welch einem Spiegel muß er bedeckt sein, um alle Sterne, das Weltall zu spiegeln? Denn wer wollte leugnen, daß der Punkt Anfang und Ende ist. Das Sandkorn, aus dem sich leblose Wüsten bilden, die nur dem Wind der Zeit unterworfen sind, der Regentropfen, der allem neues Leben verleiht – Punkt.
Und damals, in der Kindheit, konnte ich all dies nicht wissen, legte Bücher, Socken und Teller unter die Wolldecke, die das Sofa bedeckte, um so die passende Landschaft für die Kriegshandlungen zu schaffen, und spielte auf dem elterlichen Sofa fidel vor mich hin. Hinter den von mir geschaffenen Bergen, Hügeln und Schluchten lagen die feindlichen Armeen im Hinterhalt.
Als ich fast ein Vierteljahrhundert später den Armeedienst ableisten mußte, erklärte ich mich zum Oberkommandierenden der “Weglaufenden Truppe” und gründete meine eigene Einheit des “sofortigen Rückzugs”, aber davon ausführlicher in einem der folgenden Abschnitte.
Jetzt aber erinnere ich mich, wie ich krank auf dem elterlichen Sofa mit Dominosteinen spielte. Das war zu der Zeit, als in unserer Straße in Lwow der erste und vorerst einzige Fernseher aufgetaucht war.
Wir, d.h. vielleicht sieben Jungs, waren zu unseren Nachbarn gegangen und hatten gebeten, “Tschapajew” gucken zu dürfen. Alle Plätze waren längst schon von Großmüttern und Großvätern besetzt, und wir hatten uns unter die Stühle gelegt. Vor dem Fernseher stand ein großes Vergrößerungsglas, mit Wasser gefüllt, und bunte Streifen in blau, braun und grün sorgten für Farbe. Nach dem Film hatten sich alle Jungs in unserer Straße flugs mit hölzernen Flinten, Pistolen und Säbeln bewaffnet. Und ein ganz großer Glückspilz hatte sogar ein Maschinengewehr auf zwei alten Kinderwagenrädern, denn sein Vater war Schreiner. Und wir anderen waren vor Neid fast vergangen.
Zu jener Zeit also spielte ich fröhlich mit meinen Dominosteinen, die für mich alle Waffengattungen repräsentierten – Panzer, Laster, Aufklärungsmopeds. Alle kämpften zusammen, einer gegen den anderen – Gelbe gegen Rote, Grüne gegen Weiße und Blaue, Schwarze gegen alle. Prächtig haben sie alle gekämpft. Bis zum letzten Soldaten, bis zum völligen Ende, Punkt.
Zwanzig Jahre später habe ich das “Mandala für die Oberkommandierenden” gemacht – mein erstes Objekt aus Dominosteinen, damit sie ihre Kämpfe auf dem Sofa austragen und zugleich beim Betrachten der Arbeit das Meditieren erlernen könnten. Bei meinem Kinderspiel hatte nie eine der kämpfenden Parteien gewinnen können, alle hatten immer nur große Verluste, denn im Krieg gibt es nie Sieger.
Und gegen Abend war das Fieber schon wieder gestiegen, und wie ich so neben meiner Mutter auf dem Sofa lag, dachte ich, daß ich kein Spieler bin, sondern nur ein Instrument, mit dem ein anderer Domino spielt, aber auf einer Ebene, die dem Sterblichen zu verstehen unmöglich ist.